Der Gebrauchtmarkt ist voll von analogen Kameras, die keinen Entfernungsmesser oder sonstige Einstellhilfen für genaues Fokussieren besitzen. Um trotzdem scharfe Fotos zu bekommen, muss man entweder die Entfernung schätzen oder andere Hilfsmittel benutzen. Eine Variante ist ein externer Entfernungsmesser, der auf den Zubehörschuh der Kamera gesteckt wird. In der Regel sind das ältere Messsucher, die mehr oder weniger gut funktionieren.
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich im Aphog-Forum eine andere Lösung gesehen: ein Foto einer Rollei 35 mit einem aufgeklebtem Streifen aus Papier. Auf diesem Papierstreifen war eine Entfernungsskala aufgedruckt. Kann ein Entfernungsmesser aus Papier tatsächlich helfen? Na ja … zumindest kann er als sehr einfache und interessante Schätzhilfe beim Fokussieren helfen. Und da ich sehr schlecht im genauen Schätzen von Entfernungen bin, finde ich diese Lösung einfach großartig!
Wie funktioniert das?
Das Prinzip ist genauso einfach wie genial. Machen wir einen kleinen Versuch:
- Erstmal einen Punkt aussuchen, der ein paar Meter weit entfernt ist
- Das rechte Auge schließen
- Einen Arm (egal welchen) ausstrecken und mit dem Zeigefinger genau auf den Punkt zeigen, sodass linkes Auge, Zeigefinger und der gewählte Punkt eine Linie bilden
- Rechtes Auge öffnen und linkes Auge schließen
- Der Zeigefinger sollte jetzt je nach Entfernung irgendwo links des vorher anvisierten Punktes sein
Wie kann man aus diesem „Phänomen“ die Entfernung des anvisierten Punktes ermitteln?Im Prinzip geht es um einfache Trigonometrie. Zieht man von beiden Augen jeweils eine Linie zum anvisierten Punkt und eine weitere zwischen beiden Augen, erhält man ein gleichschenkliges Dreieck. Ein Messsucher bzw. Mischbildentfernungsmesser funktioniert übrigens ähnlich, das Prinzip beruht jedoch auf einem rechtwinkliges Dreieck.
Beim rechtwinkligen Dreieck des Messsuchers reicht es aus, den Winkel α zu bestimmen, da die Strecke b durch das Gehäuse vorgegeben ist. Diese Strecke b nennt man auch Messbasis und es gilt: Je größer die Messbasis, umso genauer die Messung.
Beim gleichschenkligen Dreieck unseres menschlichen Entfernungsmessers ist es etwas komplizierter. Bekannt ist wie beim Messsucher die Strecke b, also hier die Entfernung zwischen den Pupillen. Mehr ist aber nicht bekannt. Die Lösung: in einem festgelegten Abstand c wird die Entfernung zwischen den beiden gleichlangen Seiten gemessen. Wer große Lust aufs Rechnen hat, kann natürlich ein Lineal benutzen und dann die Entfernung ausrechnen. Die einfachere Variante ist, gleich eine Skala zu benutzen, welche die Abstand c in die Entfernung a „übersetzt“
Einen Entfernungsmesser selbst drucken
Um nicht selbst alles ausrechnen zu müssen, hat Thomas Achtemichuk den großartigen „Human Rangefinder Card Generator“ programmiert. Prinzipiell ist es nur notwendig, den Pupillenabstand, die Armlänge und die Einheit der Entfernung in Meter oder Fuß anzugeben. Die Armlänge meint allerdings nicht wirklich die Armlänge, sondern die Entfernung zwischen Pupille und der auszudruckenden Karte. Wer möchte, kann die Entfernungsmarkierungen auch entsprechend der gewählten Kamera eingeben. In meinem Fall handelt es sich um meine Minox 35 GT. Damit erhält man schon mal eine sehr gute Messhilfe.
Wie wendet man dieses Stück Papier nun an? Erstmal ausdrucken und ausschneiden. Das fertige Stück hat die Grüße einer Visitenkarte. Man kann sich das Papier dann entweder mit Tesa auf die Kamera kleben oder auf ein Stück Pappe oder einfach laminieren. Die Anwendung entspricht dem oben beschriebenen Versuch:
- Gerade zum Motiv stellen
- Rechtes Auge schließen
- Das Papier mit der Messskala waagerecht mit dem ausgestrecktem Arm so halten, dass zwischen linkem Auge, der „0“ auf der Skala und einem begrenztem Punkt des Motives eine Linie entsteht
- Linkes Auge schließen, rechtes Auge öffnen
- Mit den rechten Auge auf den Punkt schauen und die Entfernung von der Karte ablesen
Was bedeutet „Hyperfokale Distanz“?
Diese Tabelle ist optional zusätzlich ausdruckbar, aber durchaus sinnvoll. Was bedeutet das? Die Definition bei Wikipedia lautet so:
Als hyperfokale Entfernung beziehungsweise hyperfokale Distanz wird in der Fotografie diejenige endliche Gegenstandsweite bezeichnet, bei der, wenn man auf sie fokussiert, im Unendlichen liegende Objekte mit akzeptabler Unschärfe abgebildet werden. Der gesamte mit akzeptabler Unschärfe abgebildete Bereich, die sogenannte Schärfentiefe, reicht dann von der halben hyperfokalen Entfernung bis ins Unendliche.
Wikipedia
Ich verdeutliche es einfach an einem Beispiel. In meiner Tabelle steht bei Blende 8 eine hyperfokale Distanz von 5 Metern. Stelle ich bei Blende 8 also eine Entfernung von 5 Metern ein, ist alles zwischen der Hälfte (also 2,5 Metern) bis unendlich alles annehmbar scharf. So hilft sie dabei, die größtmögliche Schärfentiefe zu ermitteln. Besonders an einem Zeitautomaten wie meiner Minox 35 ist eine solche Tabelle absolut sinnvoll.
Meine Erfahrungen mit dem gebastelten Entfernungsmesser
Im Prinzip ist der ausgedruckte Entfernungsmesser eine großartige Idee, hat aber eine Schwachstelle: den Menschen. Damit alles funktioniert, muss man den Kopf tatsächlich gerade zum Motiv ausrichten. Erschwerend kommt ein Reflex dazu, beim wechselseitigen Öffnen und Schließen der Augen den Kopf etwas zu drehen. Auch der ausgestreckte Arm muss ganz ruhig gehalten werden, was nicht so einfach ist. Ich empfehle daher, sich erstmal einen Entfernungsmesser auszudrucken und zu testen. Ein Versuch kostet ja nichts und ist auch zu hause möglich. Ich musste auch erstmal damit herumprobieren, trotzdem gibt es eine relativ große Fehlertoleranz. Daher bewerte ich diesen Entfernungsmesser eher als eine Schätzhilfe als eine genaue Messung. Diese Schätzhilfe ist jedoch sehr sinnvoll, wenn man nicht gut im Schätzen von Entfernungen ist.
Ich benutze meinen Entfernungsmesser aus gerade mit meiner Minox 35 recht häufig. Die hyperfokale Distanz habe ich ganz gut im Kopf, aber allein diese Tabelle ist schon einen Ausdruck wert. Sie erspart in vielen Fällen eine Entfernungsmessung. Wenn eine genauere Schätzung auf kürzeren Distanzen notwendig ist, hat mir die Karte bisher sehr geholfen. Inzwischen denke ich, dass ich beim Schätzen etwas besser werde. Vielleicht ist es auch nur die Hoffnung, die diesen Eindruck erweckt. Man muss das einfach üben und dabei hilft diese Messhilfe enorm. Daher: absolute Empfehlung für alle, die beim Schätzen der Entfernung wie ich ihre Probleme haben.
Frank Vogler (Autor)
Vor ein paar Jahren habe ich die analoge Fotografie in Schwarz-Weiß für mich entdeckt und mich dabei neu in Fotografie verliebt. Ich würde mich freuen, andere zu unterstützen und vielleicht auch etwas zu inspirieren. Mehr lesen …