Mit den alten Kameras meines Vaters kamen auch wunderbare Objektive zu mir: zwei Carl Zeiss Jena Tessar 2.8 50 aus Aluminium. Okay … Objektive aus Alu oder Messing sind schon auf den ersten Blick wunderbar, aber das Tessar ist an sich ein ganz besonderes Objektiv. Fast 100 Jahre lang galt dieser Objektiv-Typ, der von Carl Zeiss als „Adlerauge“ beworben wurde, als Maßstab für Klarheit und Schärfe.
Kurze Geschichte des Carl Zeiss Tessar
Das Tessar-Objektiv wurde bereits 1902 für die Firma Carl Zeiss patentiert. Es besteht aus vier Linsen, von denen zwei miteinander verkittet sind. Daher spricht man auch von einem Triplet, da die vier Linsen in drei Gruppen angeordnet sind. Das als „Adlerauge“ beworbene Objektiv bildete sogar die Vorlage für das erste geschützte Firmenlogo von Carl Zeiss. Es zeigt den Querschnitt des hinteren Tessar-Gliedes, das zwei verkittete Linsen besitzt.
Die ursprüngliche Lichtstärke lag bei 1:6,3, die durch Neuberechnungen wenige Jahre später bereits auf 1:4,5 bzw. 1:3,5 erhöht werden konnte. 1924 wurde das Tessar neu berechnet, um die Lichtstärke weiter zu erhöhen. Der Durchbruch kam jedoch erst 1931. Ergebnis dieser Neuberechnungen war das für Kleinbildkameras optimierte Tessar 2.8/50. Dieser Durchbruch war für Carl Zeiss sehr wichtig, da so 1932 die Contax als Gegenentwurf zur Leica II mit einem sehr guten und lichtstärkeren Objektiv erscheinen konnte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es sowohl bei Carl Zeiss Jena als auch bei Carl Zeiss in Oberkochen neue Berechnungen für das 2.8/50. Auch wenn qualitative Verbesserungen erreicht werden konnten, blieb die Lichtstärke unverändert.
Die Verbreitung des Tessars
Das Tessar ist bei analogen Kameras des 20 Jahrhunderts alles andere als selten anzutreffen. Für Carl Zeiss bzw. die Kamerasparte Zeiss Ikon war es ohnehin die wichtigste Bauform für Objektive, aber auch andere Kamera-Hersteller setzten ein Tessar ein. Dabei ist der Beitrag dieses Objektivs am legendären Ruf einiger analoger Kameras nicht zu unterschätzen. Die berühmte Rolleiflex war mit einem Tessar ausgerüstet wie auch die heute noch sehr begehrte Rollei 35. Die Yashica T-Serie wäre ohne das Tessar nur eine ganz normale Point-and-Shoot Kamera, doch dank dieses Objektives sind gebrauchte Modelle noch heute sehr begehrt.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dass schon sehr früh auch andere Hersteller den Aufbau des Tessars von Zeiss nutzten, um eigene Objektive zu bauen. Nachdem 1922 die Schutzrechte ausliefen, erschienen bereits wenige Jahre später Leicas mit dem Leitz Elmar 3,5/50, das auf dem Tessar-Typ basiert. Andere Hersteller zogen nach, weshalb in mehr Objektiven Tessare stecken, als man eigentlich vermutet. Auch wenn ich gar nicht so viele Kameras besitze, sind darunter einige mit Objektiven des Tessar-Typs:
- das Minotar der Minox 35 GT
- das Yashinon der Yashica MG-1
- das Yashinon der Yashica Mat-124 G
- das Solinar der Agfa Selectronic S
Das sind nur einige Beispiele für Objektive des Tessar-Typs von anderen Herstellern, die ich besitze. Darüber hinaus gibt es noch viele andere Produzenten, die auf diesen erfolgreichen Objektiv-Typ setzten.
Eigenschaften Carl Zeiss Jena Tessar 2.8 50
Mein Alu-Tessar an der Pentacon FM wurde 1961 oder 1962 hergestellt. Wie alle Tessare ist es ein vierlinsiges Objektiv, das als Triplet ausgeführt ist. Es besitzt eine Brennweite von 50mm und eine Rastblende von 2.8 bis 16. Aus heutiger Sicht besonders ist die halbautomatische Springblende. Wenn man den Blendenring über die Marke von 2.8 hinaus dreht, rastet die Blende voll geöffnet ein. Erst beim Auslösen wird die Blende über einen Stift auf die Arbeitsblende zurückgestellt. Dadurch muss die Blende für jede Auslösung neu aufgezogen werden. Der Auslöser funktioniert jedoch etwas leichter, da kaum zusätzliche Kraft aufgebracht werden muss. Ob der Nachteil überwiegt? Nicht wirklich, denn die Bedienung macht ungeheuer viel Spaß.
Mein schwarzes Carl Zeiss Tessar ist aus den frühen 80ern. Auch dieses ist ein 2.8 mit 50 mm Brennweite. Anders als der Vorgänger hat es jedoch eine automatische Springblende von 2.8 bis 22. Beide haben ein Anschlussgewinde M42x1 und ein Filtergewinde 49×0,75.
An der Qualität des Tessar gibt es kaum etwas auszusetzen. Es hat eine sehr gute Mittenschärfe mit geringen Abbildungsfehlern. Bei Offenblende tritt sphärische Aberration auf, die aber nach Abblenden auf 5.6 vernachlässigt werden kann.
Luftblasen bei Tessar Objektiven
Besonders bei älteren Tessaren sind kleine Luftblasen in den Linsen keine Seltenheit. Auf den Fotos ist nichts davon zu sehen, aber merkwürdig scheint es schon zu sein. Schaut man sich um, betrifft dies aber nicht nur Objektive aus der DDR oder von Carl Zeiss. Und tatsächlich sind diese kleinen Blasen in Linsen eher ein Qualitätsmerkmal (siehe „Das Photografische Objektiv“ von Flügge/Michel, Springer Verlag, 2018). Diese Linsen wurden durch sogenanntes „Schwer- oder Scherstkron-Schmelzen“ gefertigt. Bei diesem Verfahren ist die für die optische Lage unumgängliche chemische Zusammensetzung so erschwert, dass es unmöglich ist, die „größte Lauterkeit“ ohne Bläschen zu erhalten. Natürlich wurden die Verfahren im Laufe der Zeit verbessert. Dennoch können Luftblasen noch heute auftreten, haben aber keine Auswirkungen auf die Abbildung.
Schwergängiger Fokusring beim Tessar
Ein schwergängiger oder gar nicht mehr beweglicher Fokusring ist bei älteren Objektiven keine Seltenheit. Der Grund sind verharzte Fette in den Gewinden, die den ganzen Mechanismus teilweise bombenfest verkleben. Von meinen beiden Alu-Tessaren ließ eines sich nur sehr schwer fokussieren, das andere erstmal gar nicht. Besonders Wärme kann helfen, um die schwergängigen Gewinde wieder beweglich zu machen. Es gibt diverse Ratschläge bis hin zur Erwärmung im Backofen. In absoluten Notfällen kann auch ein sehr kleiner und wohldosierter Spritzer WD40 helfen, um ein Objektiv wieder beweglich zu machen. Das ist allerdings nur eine Notlösung. Um es wieder gut nutzen zu können, sollte ein Objektiv gründlich gereinigt und mit frischem Fett oder Öl versehen werden. Zum Glück lässt sich das Tessar wie fast alle Festbrennweiten relativ gut zerlegen und selbst reparieren. Eine Anleitung hatte ich schon vor einiger Zeit versprochen und werde sie sicher auch noch liefern.
Fazit zum Carl Zeiss Jena Tessar
Das Carl Zeiss Jena Tessar 2.8 50 würde ich heute nicht mehr unbedingt als das beste Objektiv der Welt bezeichnen. Dennoch war es über einen sehr langen Zeitraum hinweg der Maßstab hinsichtlich Schärfe und Abbildungsqualität. Und noch heute mag ich Schärfe und Bokeh sehr.
Die Preise für Tessar-Objektive von Carl Zeiss Jena mit M42-Gewinde bewegen sich recht konstant auf einem relativ hohen Niveau. Unter 50 € ist ein Alu-Objektiv kaum zu bekommen, spätere Modelle immerhin ab und zu mal. Zum Glück wurden sie in großer Stückzahl in unterschiedlichsten Ausführungen gebaut und sind daher nicht so selten. Da das M42-Gewinde weit verbreitet ist, lassen sich diese Objektive an vielen analogen Kameras einsetzen. Außerdem verwenden Fans alter Objektive gerne Adapter, um auch das Tessar mit digitalen Kameras zu verwenden. Und da ist natürlich besonders die Alu-Version sehr begehrt. Persönlich finde ich die Kombination von Tessar und Film schöner. Aber das ist nur meine Meinung. Für analoge Kameras mit M42 Anschluss ist das Carl Zeiss Jena Tessar 2.8 50 definitiv eine Empfehlung!
Frank Vogler (Autor)
Vor ein paar Jahren habe ich die analoge Fotografie in Schwarz-Weiß für mich entdeckt und mich dabei neu in Fotografie verliebt. Ich würde mich freuen, andere zu unterstützen und vielleicht auch etwas zu inspirieren. Mehr lesen …