Ja … ich habe es getan! Ich habe mir tatsächlich eine Canomatic zugelegt. Genauer die „Canomatic Deluxe Automatic Camera Kit 7000SEL Zoom“ analoge 35mm Kamera. Keine Sorge … ich weiß durchaus, was für eine Kamera das ist! Auf eBay, Kleinanzeigen und ähnlichen Seiten begegnen mir sie und ihre Schwestern immer wieder, teils zu horrenden Preisen. Und umso häufiger ich sie sah, umso mehr hat es mich in den Fingern gejuckt, eine solche Kamera in den Händen zu halten, mal mit ihr zu fotografieren, sie zu zerlegen und darüber zu schreiben. Am Endes des Artikels bleibt nicht mehr als etwas Müll und Elektroschrott übrig, aber mehr ist diese Kamera ja auch nicht. Sie ist einfach nur ein Blender, den Straßenhändler benutzten, um ahnungslosen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und sogar noch heute benutzt wird, um über eBay und Co. nach Dummen zu suchen.
Auf den ersten Blick sieht ja alles auch gar nicht so schlecht aus. Der Name „Canomatic“ hört sich ein wenig nach dem Hersteller Canon an. Sie sieht wie eine Spiegelreflexkamera aus, wirbt mit „Deluxe“ oder „professionellen Eigenschaften“. Sie fühlt sich sogar recht schwer an, als wäre sie robust gearbeitet und voller Elektronik. In Wahrheit bekommt der Käufer nur billiges Plastik, ein wenig Elektronik und Gewichte. Belichtungsmessung? Gibt es nicht! Autofokus? Quatsch! Zoom-Objektiv? Alles nur Fake. Eine Spiegelreflexkamera? Nicht mal das!!!
Es wird mir Spaß machen, diese Kamera zu zerlegen. Und vielleicht hilft dieser Artikel ja auch dem/der einen oder anderen, nicht auf diesen Schwindel hereinzufallen.
Woher kommt die Canomatic?
Zunächst mal dies: es gibt nicht DIE Canomatic. Hinter dieser Kamera steht eine ganze Familie von Kameras, die in unterschiedlichen Ausführungen und mit unterschiedlichen Namen verkauft wurden. Der Name „Canomatic“ ist am weitesten verbreitet, jedoch hat der Hersteller unterschiedliche Schreibweisen verwendet. Mir sind schon „Canokimatic“, „Canomatica“, „Canomatec“ und „Canomatik“ begegnet. Andere Namen klingen direkt wie bekannte Hersteller. So gab es tatsächlich ein Modell mit der Aufschrift „SONY“. Andere klangen irgendwie bekannt wie „KINOX“ oder „NOKINA“. Andere klangen zumindest für deutsche Ohren eher nichtssagend wie „HENRYCON“, „KAMACHI“ oder „NAKAI“. Sie sollten wohl teilweise eine japanische Herkunft vortäuschen. Das zeigt vor allem die Bezeichnung „NIPPON“. All diese Kamera kommen jedoch aus China.
Der Hersteller hinter diesen Kameras war die Firma Ouyama mit Sitz in Shenzhen (China). So zumindest die gängige Vermutung, denn genaue Belege gibt es vielfach nicht. Weder auf der Canomatic selbst noch in der Bedienungsanleitung ist irgendein Hersteller vermerkt. Ouyama liegt als Hersteller jedoch nahe. Das Unternehmen stellte eine große Bandbreite von Toy Cams her, auf deren heutigem Erfolg die Lomography setzt. Damals waren solche Kameras entweder als Fake konzipiert oder als Billigkamera zum Beispiel für Werbegeschenke gedacht.
Wie viele Canomatic wurden produziert? Eine interessante Frage, die wohl niemand beantworten kann. Mir ist aus einer Pressemitteilung von Canon aus dem Jahr 2003 bekannt, dass der Zoll in Europa 20.000 gefälschte Kameras sichergestellt hat. Da aber noch so viele im Umlauf sind, dürfte die Zahl wohl sechs-stellig gewesen sein.
Wie wurden diese Kameras verkauft?
Diese Kameras gingen in Deutschland nie über den Ladentisch eines Foto-Händlers. Jedenfalls nicht neuwertig, als Gebrauchtware habe ich sie durchaus schon bei Händlern gesehen. Sie wurden vorrangig auf der Straße aus dem Kofferraum verkauft. Sehr beliebt waren dabei Autobahnraststätten, auf denen Passanten oder auch Tankwarte angesprochen wurde. Laut alten Presseartikeln hatten die Händler auch eine Geschichte parat. Das Benzin wäre alle, die Händler hatten kein Geld dabei, aber glücklicherweise ein paar Kameras im Kofferraum, die sie aufgrund dieser „Notsituation“ günstig abgeben würden. Mitunter wurden die Kameras aber auch einfach als Ausstellungsstücke oder Restexemplare angeboten.
Die Canomatic wurde in einer frühen Variante mit einem Alu-Koffer verkauft, in dem sich neben der Kamera und dem typischen Stab-Blitz auch noch ein Stativ befand. Darin war auch eine Art Werbeprospekt, in dem unter der Überschrift „Canomatic Camera Video System“ verschiedene Features wie ein Motor-Zoom gezeigt wurden. Darunter war zu lesen: „New Canomatic – Konzept mit hervorragenden professionellen Eigenschaften“ und ein UVP von 1595,- DM. Das war schon durchaus gut gemacht!. Ein paar hundert DM erschienen da durchaus als Schnäppchen. Andere Varianten wurden mit Stab-Blitz in einer Tasche verkauft. Die Bedienungsanleitung beschreibt die Kamera als „Deluxe Camera Set“.
Durch eingehende Anzeigen wurde auch die Polizei auf dieses Treiben aufmerksam. Berichte in der Presse folgten, über eine eigene Website warnten engagierte Sammler vor der Canomatic. Sogar Canon gab eine Pressemitteilung zu den gefälschten Kameras heraus. Die Herstellungskosten wurden damals übrigens auf 3 € geschätzt, der Einkaufspreis für Großhändler auf 11 €. Mit diesen Kameras war also eine Menge Geld zu verdienen.
Die Canomatic im Detail
Als ich die Kamera zum ersten Mal in die Hand nahm, war ich vom hohen Gewicht überrascht. Ohne Batterien ist die Kamera immerhin 686 Gramm schwer, der Blitz fügt ohne Batterien nochmal 421 Gramm dazu. Die etwa 1,1 Kg schwere Kombination ist schon heftig! Dann fällt der Sucher auf … genauer fallen die beiden Sucher auf. Auch wenn die Kamera wie eine moderne Spiegelreflexkamera aussieht, hat sie zunächst mal einen sehr einfachen Sucher ohne irgendwelche Funktionalitäten. Da er direkt unter dem Blitzschuh platziert ist, ist das Kabel des Blitzes immer im Weg. Der zweite Sucher der Canomatic funktioniert ähnlich wie ein Lichtschachtsucher, jedoch schaut man von oben nicht durch das Objektiv, sondern dieses kleine „Bullauge“ über dem Objektiv. Natürlich seitenverkehrt, besonders hell und kontrastreich ist die ganze Sache auch nicht.
Auf der rechten Seite ist das Bildzählwerk und ein zunächst bekannt erscheinendes Wählrad. Doch statt verschiedener Modi bietet es nur eine Normal- und eine Rückspulstellung. Besser ausgestattete Modelle haben hier immerhin ein LCD-Display. Vor dem Auslöser gibt es noch zwei kleine Knöpfe, die in der Bedienungsanleitung als „Power zoom in button“ und „Power zoom out button“. Dieser Motor-Zoom ist ohnehin eines der größten Mysterien dieser Kamera, wobei meine „Canomatic Deluxe Automatic Camera Kit 7000SEL Zoom“ noch eins drauflegt: den „Auto Zoom“. Wie bitte? Eine Kamera, die den Zoom automatisch einstellt? Wahnsinn!
Die meisten Canomatic Modelle haben an dieser Stelle ein Sichtfenster, in dem die eingestellte Blende inklusive einem Lichtsymbol (sonnig, bedeckt etc.) abzulesen ist. Bei diesem Modell wurde darauf verzichtet. Da haben die sich gedacht, wir schreiben einfach mal „Auto Zoom“ … das klingt total technisch! Dass daneben eine Festbrennweite von 50mm steht, fällt ja niemandem auf.
Wer sich etwas mit Fotografie auskennt, merkt den Schwindel sofort. Für alle anderen Leser eine Erläuterung dazu: es gibt Objektive mit einer festen Brennweite, die auch auf dem Objektiv vermerkt ist. Das können 24mm sein oder 50mm oder was auch immer. Es gibt auch Zoom-Objektive, die eine variable Brennweite haben. Darauf steht dann 24-105mm oder irgendwas in dieser Art. Beim Zoomen wird die Brennweite verändert, was bei einem Objektiv mit einer festen Brennweite wie bei der Canomatic gar nicht geht. Alles völliger Quatsch! Aber was ändert sich, wenn man die Knöpfe drückt? Die Blende! Und das auf eine sehr geräuschvolle Art und Weise. Das ist fürchterlich! Davon abgesehen reagiert der Motor viel zu schnell, um eine der Zwischenstufen verlässlich einstellen zu können.
Noch ein Blick in den Innenraum. Eine richtige Filmführung gibt es nicht, auch die scheinbare Filmandruckplatte ist keine. Interessant ist der Bogen, in dem der Film vor der Linse geführt wird. Für den Filmtransport ausschließlich dient das durch den Motor angetriebene Zahnrad, das auch den mechanischen Verschluss spannt. Die Walze rechts dreht sich zwar beim Filmtransport, hat aber weder Zähne noch eine Aufnahme für die Filmzunge.
Der Stab-Blitz ist auch so ein Blender. Man kann ihn drehen, neigen und sogar auf nicht vorhandene Brennweiten zoomen. Die Tabelle zum Einstellen der richtigen Blende beinhaltet Werte, welche die Canomatic auch gar nicht kann. Wer jetzt auf die Idee kommt, dass man ja immerhin das Teil verwenden kann, wird enttäuscht sein. Die Leistung dieses ist ziemlich mäßig. Auch die Kunststoffschiene zur Befestigung an der Kamera ist eher instabil. So professionell das Ding aus aussieht … es ist ein Fall für den Elektroschrott.
Technische Daten
Sucher | Einfacher Durchsichtsucher und Lichtschachtsucher zum Einblick von oben |
Objektivanschluss | – |
Belichtungsmessung | – |
Brennweite | 50mm Festbrennweite |
Blendenwerte | f/6,3, f/8, f/11, f/16 |
Fokussierung | – |
Filmempfindlichkeitsbereich | – |
Belichtungskorrektur | – |
Mehrfachbelichtungen | – |
Betriebsarten | – |
Verschluss | Mechanischer Zentralverschluss |
Verschlusszeiten | 1/200 – 1/100 Sekunde (lt. Bedienungsanleitung) |
Selbstauslöser | 5 – 14 Sekunden (lt. Bedienungsanleitung) |
Batterie | 2x AA Batterien (Kamera) + 2x AA Batterien (Blitz) |
Abmessungen (B x H x T) | Kamera: 160 x 113 x 95 mm Blitz: 187 x 147 x 99 mm |
Gewicht | Kamera: 686 gr. (ohne Batterie), davon 346 gr. Blei Blitz: 421 gr. (ohne Batterie), davon 200 gr. Blei |
Die Canomatic im Test
Als ich meiner Freundin sagte, dass ich diese Kamera auch mal ausprobieren wolle, sagte sie mir nur: „Ohne mich“. Kann ich verstehen! Ich bin ansonsten recht unempfindlich gegen schräge Blicke, aber das hier ist doch etwas anders. Egal … ich bin neugierig. Also Film rein und los! Dachte ich jedenfalls, denn ich hatte die Canomatic absolut überschätzt. Während ohne Film alles funktionierte, brauchte der Motor für den Filmtransport mit Film etwas „Bedenkzeit“ nach dem Auslösen. Kein gutes Zeichen! Unterwegs war nach einer Aufnahme Schluss. Der Motor für den „Zoom“ funktionierte noch, der Rest war tot. Also erstmal wieder nach Hause. Da die Kamera auch dort keine Reaktion zeigte, habe ich erstmal das eine Foto entwickelt. Hier das Resultat:
Was habe ich mir den Kopf verbrochen! Soll ich erstmal einen Reparaturversuch starten und dann weiter testen? Dieses eine Testfoto hat mir die Entscheidung allerdings abgenommen. Über die Qualität will ich mich gar nicht weiter auslassen … das Foto spricht für sich. Mehr kann man von einer Linse aus Plastik auch nicht erwarten. Nur zwei Punkte haben mich etwas überrascht. Die Verzeichnungen sind trotz der simplen Linse moderat. Das könnte daran liegen, dass der Film in einem Bogen geführt wird. Ähnlich versuchte man auch schon bei der Agfa Clack Verzeichnungen zu minimieren. Aber auch mit diesem unerwünschten Lichteinfall habe ich nicht gerechnet. Bei einer so mies verarbeiteten Kamera kann es viele Gründe dafür geben. Will ich weiter testen? Im Prinzip habe ich genug gesehen!
Das Innenleben der Canomatic
Also Werkzeug raus und los! Auf den Moment des planvollen Verschrottens habe ich mich schon die ganze Zeit gefreut. Zunächst mal ein Blick unter die Oberkappe. Die ist mit drei Schrauben befestigt.
Das ist ungefähr so übel, wie ich es mir vorgestellt habe. Ein sehr primitiver Aufbau, miese Lötstellen und viel Plastik. Der Anblick macht regelrecht wütend, weil sich die geringe Lebensdauer der Canomatic erahnen lässt. Aber erstmal geht es weiter! Ein paar Schrauben später kann ich den vorderen Teil mit dem Objektiv abnehmen und schaue auf die Verschluss-Mechanik. Na ja … zumindest das, was man bei dieser Kamera Verschluss nennt. Und ich kann noch etwas mehr sehen: einen riesigen Bleiklotz.
Genau genommen handelt es sich um zwei Bleigewichte, die zusammen 346 Gramm auf die Waage bringen. Das ist ca. die Hälfte des Gesamtgewichtes der Kamera.
Nächste Station: Linse. Ich musste etwas suchen, um einen Weg zum Demontieren zu finden. Hat man die Frontscheibe abbekommen, geht aber alles recht einfach. Diese Frontscheibe ist übrigens nicht so plan und klar wie gedacht. Sie ist leicht gewölbt und bläulich eingefärbt. Die kleine Linse ist natürlich aus Plastik. Die Blende ist wie zu erwarten äußerst simpel zusammengebaut.
So … das war es schon mit meiner Canomatic. In der Summe gibt es jede Menge Plastik vom Gehäuse über die Optik bis hin zur gesamten Mechanik. Die paar Drähte verbinden die beiden Motoren, zwei Platinen (von denen nur eine bestückt ist), eine LED, die beiden Taster für den „Zoom“ und ein paar sehr fragwürdig gestaltete Schaltkontakte. Ansonsten gibt es noch ein paar Federn und natürlich gibt es sehr viel Blei!
Der Blitz ist etwas rätselhaft. Mit über 400 Gramm ist er recht schwer, wirkt aber nicht sehr solide. Ist da etwa auch Blei drin? Das Gewicht wirkt ungleich verteilt. Wenn da Blei drin ist, dann im recht voluminösen Griff, in dem normalerweise die Batterien stecken. Also ein paar Schrauben ab und da ist es:
200 Gramm Blei, die fast die Hälfte des Gesamtgewichtes ausmachen. Das ist frech! Der Rest ist schnell zerlegt. Im oberen Teil ist das Batteriefach, eine bescheidene Leiterplatte und die kleine Lampe. Das war es schon!
Insgesamt enthält der Blitz mehr Elektronik als die Kamera, die Verarbeitung ist allerdings wie bei der Kamera sehr schlecht.
Fazit
Die Canomatic ist tatsächlich eine Frechheit. Auch wenn Toy Cams heute sehr beliebt sind, liegen das rein technische Niveau und die Zuverlässigkeit noch weit unterhalb von Lomo, Holga und Co. Wer damals mehrere hundert DM bzw. Euro für eine solche Kamera bezahlt hat, wurde auf eine wirklich perfide Art und Weise betrogen. Und heute? Bei eBay und Kleinanzeigen lassen sich noch immer Angebote mit einem Verkaufspreis von über 100 € finden. Teilweise wird Canon als Hersteller angegeben, was definitiv ein Fall von Betrug ist. Die damaligen Lügen „Deluxe“ und „professionell“ werden nachgeplappert … aus Arglist oder Ahnungslosigkeit. Bei Etsy beschreibt ein Verkäufer detailliert, dass es sich um eine Fake-Kamera handelt, möchte aber trotzdem 85 €.
Wer mit dem Gedanken spielt, sich eine Canomatic zu kaufen … bitte informiert Euch vorher und lasst es sein! Wer eine auf dem Dachboden oder in irgendeinem Keller gefunden hat … bitte entsorgt das Teil! Und rein vorsorglich nochmal an alle Toy Cam Fans: es lohnt sich nicht! Jede Einwegkamera ist besser als so ein Ding und liefert wenigstens zuverlässig genau die schlechte Qualität, die ihr haben wollt. Diese Kamera hat nur eine Bestimmung: den Elektroschrott! Da kommt meine jetzt auch hin. Immerhin habe ich schon alles schön getrennt. Und zu Silvester ist Bleigießen angesagt.
Frank Vogler (Autor)
Vor ein paar Jahren habe ich die analoge Fotografie in Schwarz-Weiß für mich entdeckt und mich dabei neu in Fotografie verliebt. Ich würde mich freuen, andere zu unterstützen und vielleicht auch etwas zu inspirieren. Mehr lesen …
Oha…
Danke fürs testen. Interessant ist auch das Blei…
Also war auch damals die Welt nicht in Ordnung…
Viele Grüße Jürgen